Mit der Digitalisierung ist es so eine Sache. Mittlerweile müsste doch analog gar nichts mehr gehen, sollte man meinen. Doch wie steht es denn nun wirklich um die Digitalisierung? Ein persönlicher Einblick in meine tägliche Welt.
Als ich meinen derzeitigen Job startete bekam ich unter anderem den Auftrag eine Digitalstrategie zu entwickeln und umzusetzen. Cool, dachte ich. Und notierte mir in mein analoges Aufgabenbuch die ersten Gedanken und Fragen, die es noch zu klären galt.
Ich wurde damals bereits im Vorstellungsgespräch gefragt, ob ich mich mit Digitalisierung auskenne. Meine Gegenfrage lautete: „Welche Digitalisierung jetzt genau gemeint wäre?“ Das klingt vielleicht im ersten Moment frech, war aber ernst gemeint. Denn viele können das Thema Digitalisierung gar nicht richtig greifen und meinen damit im Rahmen des Marketings eher Social Media. So nach dem Motto „…das brauchen wir jetzt auch“. Digitalisierung ist aber mehr als nur Facebook, Instagram & Co.. Und sie hat vor allem nicht zwingend was mit Marketing zu tun. Digitalisierung findet im ganzen Unternehmen, in jedem Bereich Anwendung.
Aber zurück zum Marketing. Der eigentliche Auftrag, wie ich nach weiteren Hinterfragungen herausfand, war die Entwicklung einer Marketingstrategie im digitalen Zeitalter.
Nun bin ich in einem mittelständischen Unternehmen mit einem „low interest“-Produktbereich des täglichen Bedarfes ohne eigenen Onlineshop konfrontiert. Meine erste Überlegung war: Brauche ich überhaupt digitale Lösungen? Im hier und heute funktioniert das analoge Geschäft hervorragend.
Also wie können mir digitale Lösungen in der Zukunft helfen, das gut laufende Geschäft weiter auszubauen?
Marketingautomatisierung
Hiervon träume ich schon lange, aber irgendwie stand mir bisher immer die IT-Abteilung im Weg. Nicht das die Kollegen nicht wöllten, Marketing steht einfach bei vielen Unternehmen beim Thema Digitalisierung von Prozessen nicht an erster Stelle. Aber allein dieses Feld ist auch breit gefächert. Oftmals wird im Rahmen der Lead-Generierung von Marketingautomatisierung gesprochen. In einer geschlossenen Onlinewelt ein effektives Instrument. Kann der Kauf ausschließlich offline abgeschlossen werden, ist die Erfolgsquote bei weitem nicht so groß. Also wie hilft mir nun das Thema in meiner aktuellen Aufgabenstellung weiter? Ehrlich gesagt gar nicht. Denn eine Customer Journey gibt es bei „low interest“-Produkten nicht wirklich. Es findet keine Informationssuche vor dem eigentlichen Kaufakt statt, es wird auch eigentlich nicht mehr darüber nachgedacht, da die Produktentscheidung entweder am Regal stattfindet auf Basis von Preis- oder anderen Promotionangeboten oder die Macht der Gewohnheit zuschlägt. Es gilt also zu klären, ob ich im Reigen der Preisschlachten im Handel mit agieren möchte. Oder den eher schwierigeren Weg gehe, zu versuchen die Gewohnheit des Konsumenten zu durchbrechen und Aufmerksamkeit für meine Produkte zu gelangen. Jedoch reicht nur Aufmerksamkeit nicht. Ich muss auch besser sein als die Marke, die bisher gekauft wurde. Doch was heißt „besser sein“?
Customer Centricity
Um die Frage des „Besserseins“ beantworten zu können, muss ich mich mit den potentiellen und bestehenden Kunden beschäftigen. Je mehr ich über meine Kundschaft weiß, umso besser verstehe ich nicht nur die Bedürfnisse, sondern auch die Motivation und Hintergrunde einer Produkt- oder Markenwahl. Mehr zu Thema Zielgruppe habe ich in meinem Beitrag „It´s all about the customer…“ beschrieben. Doch wie komme ich an die Informationen zur Zielgruppe und Verwendern? Nun, eigene Marktforschung betreiben, wäre eine Lösung. Und hier kann tatsächlich die Digitalisierung helfen. Ist es doch super einfach, einen Fragebogen mit einem entsprechenden Online-Anbieter aufzusetzen und Menschen zu befragen. Es ist jedoch ratsam, einen Experten hinzu zufügen. Denn wie bei jeder Statistik und Befragung können Fehler passieren und daraus Fehlinterpretationen, was natürlich nicht ratsam für eine Entscheidungsgrundlage ist. Vielleicht macht es auch Sinn, sich bestehende Daten anzuschauen, die Media- oder Marktforschungsinstitute anbieten. Aber auch hier Vorsicht: wenn das alle Wettbewerber tun, müssen wir uns nicht wundern, warum auf einmal alle das Thema „Nachhaltigkeit“ für Ihre Marken sexy finden. Vielleicht liegen ja auch schon eigene gesammelte Daten vor. Zum Beispiel über die eigene Markenseiten in den Social Media-Kanälen. Social Listening, also die Recherche in den sozialen Netzwerken hilft darüber hinaus Themen und Trends zu identifizieren, mit denen sich die Zielgruppe beschäftigt. Doch wie gesagt: Wenn alle das Gleiche tun, kann nicht mit differenzierenden Ergebnissen gerechnet werden. Hier hilft die eigene Marken-DNA. Es ist also jeder gut beraten, der sich mit seiner eigenen Markenidentität beschäftigt und dem „Warum“. Das Schlagwort hierfür ist „Purpose Driven Marketing“.
Content-Marketing
Content ist King! Buzzword-Alarm. Nun schaue ich mich immer bei den Kollegen um, was die da so digital treiben. Denn oft kann man von anderen Branchen lernen und sich für die eigenen Ideen inspirieren lassen. Da finde ich jede Menge aufbereitete Themen auf den Websites, den Social Accounts und bei den Influencer-Kooperationen. Teilweise auch immer die gleichen Weisheiten bei unterschiedlichen Marken. Ist das zielführend? Welche Inhalte erwartet denn meine Zielgruppe? Erwartet sie überhaupt Information von meiner Marke? Und wo findet Content statt? Ich bin fest davon überzeugt, dass Content nur des Contents wegen völlig überflüssig ist. Was ist relevant für meine Zielgruppe? Diese Frage sollte zuerst beantwortet werden. Vergessen wird allerdings häufig die zweite Frage: Und was hat das mit meiner Marke oder meinen Produkten zu tun? Content ist gut und kann auch interessant sein. Als Marketinginstrument aber nur geeignet, wenn es auch auf die Markenziele einzahlt. Und am Ende aller unserer Bemühungen sollte Marketing doch immer noch der Vermarktung dienen.
Den Verbraucher kommunikativ erreichen
Der wohl originärste Zweck des Marketing. Aber in der Vielzahl von Möglichkeiten, welche gerade auch die Digitalisierung mit sich bringt, ist es gar nicht mehr so einfach seine Botschaft an die Zielgruppe zu bringen. Die zunehmende Fragmentierung sorgt zwar für viele Möglichkeiten, jede einzelne für sich betrachtet, bietet aber meist nur eine geringe Reichweite und damit geringe Schlagkraft. Das ist für Nischen ein Vorteil, für den Mainstream-Markt echter Horror. Sich stetig ändernde Algorithmen bei Facebook & Co., Programmatic Buying, Gaming, Streaming, Blockchain… Herrje! Bin ich jetzt IT-Experte oder noch im Marketing? Doch mal ganz ehrlich. Aktuell komme ich mit den klassischen Medien wie Funk und OoH ohne all den digitalen Kram noch ganz gut voran. Aber wie lange noch? Eigentlich hilft da die Beobachtung der eigenen Verhaltensweisen. Radio höre ich eigentlich kaum noch, wenn überhaupt im Auto. Und selbst da läuft DAB. Ansonsten wird gestreamt. Und wenn dort Werbung kommt, bin ich maximal genervt. Im „normalen“ Radio höre ich eigentlich gar nicht mehr hin, wenn der Werbeblock beginnt. TV schaue ich selbst selten. Und dann nur über Festplatte mit Werbung spulen. Werbeunterbrechungen bei den Online-Angeboten, egal ob Musik oder Video ist mega nervig. Da gibt es kaum eine Werbung, die ich nicht überspringen möchte. Mmmh! Wie erreichen mich eigentlich Werbebotschaften? So wirklich erreicht mich nur noch Werbung in den sozialen Netzwerken. Und dann auch nur das, was mich interessiert. Alles andere wird weiter gewischt. Oder ich suche direkt nach Produkten, die ich bei Freunden oder bekannten gesehen habe. Aber das betrifft keinesfalls Produkte des täglichen Bedarfes. Wen wundert´s? Da denke ich ernsthaft nicht drüber nach. Aber ich mache mir Gedanken darüber, wie die Produkte hergestellt werden. Gerade bei Lebensmitteln. Allerdings ist die Verfügbarkeit ein großer Hebel. Selbst wenn ich gerne kaufen wollte, und das Produkt wird bei meinem Händler des Vertrauens nicht geführt, gehe ich nicht noch woanders suchen.
Onlineshop-Angebot
Das würde für eine 24/7 Online-Verfügbarkeit sprechen. Doch leider lassen sich die Produkte nur schwer verschicken. Ein hohes Gewicht, teilweise Zerbrechlichkeit und enorme Versandkosten stehen nicht im Verhältnis zum Kaufpreis. Demnach ist also ein Webshop in meinem Fall keine so einfache Lösung. Oder ist es doch einen Versuch wert? Auf jeden Fall hätte man die Customer Journey digital besser im Griff.
Offline- und Online-Vernetzung
Ein Ideal wäre jedoch beide Erlebniswelten zu verknüpfen. So hat man doch die Vorteile beider genutzt. Die guten Reichweiten und realen Produkterfahrungen offline, die passgenaue Ansprache der Zielgruppe mit Interaktionsmöglichkeit und Empfehlungsmarketing online. Hört sich gut an, oder? Ich glaube, wer beide Welten sehr gut bedient, hat die besten Vermarktungschancen. Sie müssen nur sinnvoll miteinander vernetzt sein, um die volle Power zu entwickeln. Also muss ich erst einmal alle Hausaufgaben machen. Das Gewohnte perfektionieren und das Neue verstehen und anwenden.
Erfahrungswerte aus meinem Alltag
Leider sieht mein aktueller Alltag nicht ganz so aus, wie meine Wunschtheorie. Wie auch in anderen mittelständischen Unternehmen ist das Know How nur teilweise vorhanden. Die richtigen Experten noch nicht am Start. Ich muss immer noch ermahnen, dass „mobile first“ keine abgeleitete Trump-Variante ist, sondern schlichtweg mit jedermann´s ganz normalen Verhalten im Alltag zu tun hat. Denn was machen wir alle in regelmäßigen Abständen? Wir schauen auf unser Mobile Phone oder Tablet. Noch immer gibt es nicht optimierte Webauftritte. Responsive Design ein Fremdwort. „Weil ja auf dem Desktop alles so schön aussieht…“ bekomme ich durchaus mal als Antwort. Auch bei der Abkürzung SEO sehe ich oft Fragezeichen in den Augen von manchen Agenturen oder Kollegen. Ja gehört habe man das ja, aber an die tatsächliche Beachtung bei der Website-Programmierung dran denken – Fehlanzeige. Nun denn, denke ich mir. Nicht umsonst wurde ich gefragt, ob ich mich mit Digitalisierung auskenne…